Tribunal gegen die US-Blockade Kubas

Am 16. und 17. November 2023 fand in Brüssel in den Räumen des EU-Parlaments ein internationales „Russell-Tribunal“ statt, bei dem die über 60-jährige US-Blockade gegen Kuba im Licht des geltenden Menschen- und Völkerrechts betrachtet, Opfer- und Zeugenaussagen gehört, und ein juristisch fundierter Urteilsspruch verkündet wurde.

Das Urteil

Rechtsprofessoren, Richter und Rechtsanwälte aus Europa und den USA kamen zu dem Schluss, dass die USA mit ihrer Blockade Kubas folgende internationalen Normen, Konventionen und Mehrheitsbeschlüsse verletzen:

  • Die Blockade stellt nach dem Römischen Statut ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
  • Die Blockade kann nach der Genfer Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords, Artikel II Paragraf c, auf das Verbrechen des Völkermords hinauslaufen.
  • Charta der Vereinten Nationen Artikel 2 Absatz 1 (Souveränität und Selbstbestimmungsrecht) sowie Artikel 2 Ziffer 4 und 7 (Interventionsverbot)
  • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (viele Artikel)
  • Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) Artikel 6 (das Recht zu arbeiten), 7 (zu gerechten und günstigen Bedingungen), 11 (mit Löhnen, die ein angemessenes Leben ermöglichen), 12 (das Recht auf Gesundheit), 13 (das Recht auf Erziehung) und 15 (das Recht auf Wissenschaft und Kultur)
  • Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) Artikel XI (Verbot der Beschränkung von Im- und Exporten)
  • Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT, 1994) Artikel III Paragraf 7 Annex 2 (USA weigern sich, das vorgesehene Verfahren zur Streitbeilegung zu nutzen)
  • Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) Artikel XVI (1) (natürlichen Personen in verschiedenen Dienstleistungssektoren ist Bewegungsfreiheit zu gewähren)
  • Articles of Agreement of the International Monetary Fund, Artikel VIII Sektion 2 (Verbot diskriminierender Währungspraktiken wie Einfrieren von Guthaben und Einschränkung internationaler Überweisungen)
  • Missachtung der Resolutionen der UN-Generalversammlung Nummern 47/19, 48/16, 49/9, 50/10, 51/17, 52/10, 53/4, 54/21, 55/20, 56/9, 57/11, 58/7, 59/11, 60/12, 61/11, 62/3, 63/7, 64/6, 65/6, 66/6, 67/4, 68/8, 69/5, 70/5, 71/5, 72/4, 73/8, 74/7, 75/289, 77/7 und 78/L.5 zur Beendigung der Blockade gegen Kuba
  • Die von den USA als Grund für die Blockade angegebene Nationalisierung von Immobilien im Besitz US-amerikanischer Bürger entsprach dem Grundsatz der Souveränität jeden Staates über seine natürlichen Ressourcen (UNGV Res. 1803 vom 14. Dezember 1962) und war deswegen gerechtfertigt.

Außerdem verstößt die US-Blockade Kubas gegen EU-Recht:

  • Treaty on European Union (TEU, Vertrag von Maastricht) und Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, Nr. 3, 4, 13, 22
  • Council Regulation (EC) No 2271/96 of 22. Nov. 1996 („blocking resolution“): Europäischen Unternehmen ist es verboten, extraterritoriale Maßnahmen zu befolgen, alle ausländischen Gerichtsbeschlüsse, die auf den Drittwirkungen der Sanktionsgesetze beruhen, wurden für nichtig erklärt und ein Recht auf Kompensation für Schäden und Verluste auf Grund dieser Gesetze beschlossen.

Das Urteil des Tribunals lautet:

„Da die zahlreichen Sanktionen und die ihnen zugrundeliegenden Gesetze der USA rechtswidrig sind, müssen sie aufgehoben und gestoppt werden. Für die dem kubanischen Staat, seinen Unternehmen und Bürgern entstandenen Schäden müssen die USA Entschädigung zahlen.“

Urteil des Internationalen Tribunals über die Sanktionen der USA gegen die Republik Kuba, II (5)

Russell-Tribunale

Solche Tribunale gehen auf den Philosophen Bertrand Russell zurück, der das Vietnam War Crime Tribunal von 1966 in Stockholm maßgeblich mitinitiierte. Ihm folgten zahlreiche weitere Tribunale wie z. B. gegen den Jugoslawienkrieg, gegen die US-Invasion in Irak oder zur Lage der Menschenrechte in Palästina 2009.

Diese Tribunale haben keine tatsächliche Jurisdiktion, aber großen sachlichen und symbolischen Wert, denn sie dokumentieren Gesetzesverstöße sowie Opfer- und Zeugenaussagen. Ihre juristisch fundierten Urteilssprüche sind wichtig für eine umfassend und kritisch informierte Öffentlichkeit.

Das Tribunal gegen die US-Blockade Kubas wurde von mehreren Organisationen aus den USA und Europa abgehalten:

  • Internationale Vereinigung demokratischer Juristen
  • Linksfraktion im Europäischen Parlament – GUE/NGL
  • Partei der Europäischen Linken
  • Forum der Anwältinnen und Anwälte des Linksdemokratischen Anwaltsnetzwerks (FAI-RADE) Spaniens
  • Nationale Anwaltsvereinigung, USA
  • Nationale Konferenz Schwarzer Anwälte, USA
  • Kuba-Solidaritätsbewegung in Europa
  • Kuba-Solidaritätsnetzwerk in den USA
  • Vereinigungen von in Europa lebenden Kubanern
  • Gewerkschaftliche Organisationen in Europa

Presseecho

Leider hat die bundesdeutsche Medienlandschaft in dieser Hinsicht fast vollständig versagt (oder: ihren zweifelhaften Dienst getan). Bis auf wenige linke Medien (Junge Welt, Unsere Zeit, Amerika21/Nachdenkseiten) hat keine Zeitung oder Sender darüber berichtet.

Das über 60-jährige Aushungern von 11 Millionen Menschen, eine Zusammenkunft von 300 Teilnehmern aus 21 Ländern mit vielen Rechtsexperten – aus Deutschland u.a. der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech und die Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin Daniela Dahn – sowie anderen bekannten Persönlichkeiten wie dem spanischen Journalisten und Mitbegründer von attac sowie des Weltsozialforums, Ignacio Ramonet, hat offenkundig keinerlei Relevanz für sich als „seriös“ bezeichnende, selbsternannte „Qualitätsmedien“. Ihre Leser wären gut beraten, das, was behauptet wird und was in Wirklichkeit davon zu halten ist, neu zu bewerten.

In der Ukraine wird Russland Völkermord vorgeworfen. Für Gaza wird der Genozidvorwurf bestritten. Im Falle des schleichenden Völkermords an der kubanischen Bevölkerung gibt man sich auf beiden Augen blind. Bei der Bundespressekonferenz sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes auf eine Frage zum Tribunal nur: „Ich weiß nicht, auf welches Tribunal Sie sich beziehen“. Ignorance is bliss – zumindest für diejenigen, die es nicht betrifft. Vor der Entscheidung, ob wir die blaue oder die rote Pille schlucken, stehen wir immer wieder.