Nach der Pandemie ist vor der Pandemie

Gestern meinte RKI-Präsident Lothar Wieler, dass die Pandemie in Deutschland wohl bis Ende 2022 andauern werde. Drei Jahre sind nun wirklich lange genug. Aber was, wenn die nächste kommt? Darauf will sich Big Pharma nun vorbereiten, indem es antivirale Medikamente entwickelt, die gegen möglichst viele verschiedene Virenfamilien wirken.

Eine unendliche Geschichte

Letztes Jahr hatten chinesische Wissenschaftler allein in der Provinz Yunnan bei verschiedenen Fledermausarten vier Coronavirus-Subtypen gefunden, deren Genome dem von SARS-CoV-2 ähneln, im engsten Fall das Virus RpYNo6 mit 94,5 Prozent Übereinstimmung. Sie wollten vorausschauend Kandidaten für zukünftige Zoonosen identifizieren, um nicht noch einmal überrascht zu werden. Die Notwendigkeit vorbeugender Forschung haben inzwischen aber auch viele Medikamentenentwickler erkannt und suchen nach antiviralen Wirkstoffen, die gegen alle Coronaviren oder sogar gegen mehrere Virenfamilien helfen könnten.

Neben Coronaviren, Alphaviren (Chikungunya) und Flaviviren (Dengue und Zika) stehen insbesondere Influenzaviren ganz oben auf der Prioritätenliste, da sie immer wieder Epidemien und Pandemien verursachen. In den letzten Jahrzehnten waren das auch hierzulande mehrere Vogelgrippe-Subtypen und die Schweinegrippe. Verschiedene Varianten des menschlichen Influenza-A-Subtypus H1N1 verursachten die Spanische Grippe 1918-20 (20-100 Millionen Tote), die Russische Grippe 1977/78 (bis zu 700.000 Tote) und die Schweinegrippe 2009/10 (bis zu 500.000 Tote).

Breitspektrum-Wirkstoffe

Damit die Menschheit bei zukünftigen Viren, Subtypen und Varianten nicht wieder mit leeren Händen dasteht, sind nun in einigen Ländern und bei einigen Unternehmen pharmakologische Forschungen angelaufen, die verschiedene Ansätze verfolgen, um neuen Virenerkrankungen schnell etwas entgegen setzen zu können:

  • Nukleosid-Analoga wie Remdesivir (gegen Hepatitis C und Ebola) und Molnupiravir (gegen Grippe) wirken gegen mehrere Virusfamilien. Sie hindern die Viren daran, sich zu replizieren. Das machen Viren mittels Polymerase. Nukleosid-Analoga schmuggeln aber ihren eigenen Code in den Virus, so dass der Virus den Wirkstoff vervielfältigt. Da Viren eine schlechte Fehlerkorrektur haben, können auf diese Weise viele Virenfamilien ausgetrickst werden.
  • Inhibitoren, die gegen Untergruppen wirken könnten, z.B. gegen alle Betacoronaviren, zu denen SARS, MERS und Covid-19 gehören. Damit werden im Wirtskörper Enzyme blockiert oder Angriffswege zugemacht, damit der Virus nicht in die Zelle eindringen und sich folglich auch nicht vermehren kann. Wenn bei uns als den Wirten Ansatzpunkte gefunden werden, die beeinflussbar sind, haben Viren schlechtere Karten in Sachen Resistenzbildung. Viren müssten dann auf ganz andere zelluläre Prozesse ausweichen, wofür es aber erst viele Mutationen bräuchte. Sehr viele andere, gebräuchliche Medikamente zielen auch auf Wirtsfunktionen ab. Das muss also nicht schädlich sein.
  • Peptid-Medikamente können gezielt Fetthüllen von umhüllten Viren angreifen. Menschliche Zellwände sind größer strukturiert und anders gekrümmt, weswegen diese Medikamente sie nicht schädigen können. Die Lipidhülle ist das einzige Merkmal, das umhüllte Viren wie Flaviviren, Alphaviren, Coronaviren, Filoviren und Retroviren gemeinsam haben.

Wirkstoff-Kandidaten sollten mindestens bis zu ersten Versuchen an freiwilligen Menschen getestet werden, um auf künftige Krankheiten vorbereitet zu sein. Noch besser wären Breitspektrum-Wirkstoffe, die nicht erst neue Pandemien abwarten müssen, sondern sofort gegen bereits vorhandene Krankheiten eingesetzt werden könnten.

Zwiespältige Hoffnung

Bleibt nur zu hoffen, dass Länder, Wissenschaftler und Pharmabranche dieses Mal nicht wieder in Apathie verfallen, sobald Covid-19 nicht mehr als Pandemie, sondern als endemisch gilt. Das war der Fehler – das weltweite Versagen – nach SARS 2003, wo auch nicht die wenigen nachfolgenden Konferenzen und Planspiele geholfen hatten.

Mit diesem eingeschlagenen Weg schwindet aber auch jede Hoffnung auf Einsicht, dass mit der Eindämmungsstrategie ein falscher Weg eingeschlagen wurde. Die Eradikationsstrategie wäre viel schneller, günstiger, effektiver und nicht tödlich gewesen. Die Pandemie hätte seit einem Jahr vorbei sein können. Wenn sie bis Ende 2022 dauert, haben wir gerade einmal Halbzeit. ZeroCovid würde sich sogar jetzt noch lohnen.

Zukünftig wird also wohl auch nur die Kurve abgeflacht und das Infektionsgeschehen eingedämmt werden, bis irgendwann die Medikamente und Impfstoffe fertig sind, damit auch von den kommenden Krankheiten nur ein paar Wenige profitieren können. Kranke und tote Menschen sind offenbar mehr wert als gesunde.