Schwierige Gespräche

Viele Themen sind so umstritten, dass über sie kaum noch diskutiert werden kann. Lieber zieht man sich in verfeindete Lager zurück und kündigt den Kontakt auf. Ein paar psychologische Einsichten markieren Eckpunkte für Gespräche über z.B. Klimawandel, Corona und Zuwanderung.

Eine Übersicht

Im Artikel „Weit weg, unsicher, komplex?“ werden wichtige psychologische Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte in Sachen Klimawandel und „Klimakommunikation“ zusammengetragen. Für andere Themen ist das auch gut zu wissen.

Auf Distanz

Psychologische Distanz

Angebliche oder tatsächliche Probleme werden ernst genommen, wenn sie im Alltag gespürt oder als ganz nah angesehen werden. Sie sind aber mehr oder weniger egal, wenn sie nur Menschen anderswo betreffen, wenn sie erst irgendwann in Zukunft eintreffen, wenn sie andere Gruppen betreffen, und wenn das Problem nicht absolut eindeutig zu sein scheint.

Menschen bauen unwillkürlich eine „psychologische Distanz“ auf, wenn einer oder alle der folgenden Aspekte zutreffen:

  1. räumliche Distanz
  2. zeitliche Distanz
  3. soziale Distanz
  4. Unsicherheit

Unsicherheit und einfache Antworten

Wissenschaftlich gesehen lässt sich kaum etwas hundertprozentig sicher sagen. Stattdessen wird von Wahrscheinlichkeiten, intersubjektiver Plausibilität und der Mehrheitsmeinung gesprochen. Das verstehen aber nur akademisch gebildete Menschen so, wie es gemeint ist.

Im Alltag bedeutet „unsicher“, dass etwas wahrscheinlich falsch ist. Wissenschaftler geben keine Garantie auf den menschengemachten Klimawandel oder Covid-19. Sie sehen diese nur als hochwahrscheinlich oder beste Erklärung an. Aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit weigern sie sich, das als vollkommen sicher zu bezeichnen. Aber gerade das weckt bei Nichtakademikern Zweifel und Misstrauen. Obwohl dieses fachsprachliche „hochwahrscheinlich“ alltagssprachlich „hundertprozentig“ bedeutet.

Komplexe wissenschaftliche Probleme erfordern zudem ein hohes Maß an Bereitschaft und Aufwand, um sich auf sie einzulassen. Wenn eine einfachere Alternative zur Verfügung steht, wird sie gerne gewählt. Selbst Fachleute sind davor nicht gefeit. Wenn keine Alternative vor Augen ist, kann das komplexe Problem kurzerhand angezweifelt werden. Dieser Default-Effekt oder auch die Status-quo-Verzerrung ist bequem und erzeugt ein Gefühl der Sicherheit, weil man sich auf dem gewohnten Standard ausruhen kann.

Psychologische Barrieren

Eine Analyse der Klimakommunikation der letzten Jahrzehnte ergab fünf psychologische Barrieren, die uns nicht aktiv werden lassen:

  1. Psychologische Distanz: Die bereits erwähnte psychologische Distanz besagt, dass weit entfernte, zukünftige, andere soziale Gruppen betreffende, und als unsicher erscheinende Probleme von vielen Menschen nicht ernst genug genommen werden.
  2. Angst und Niedergeschlagenheit: Starke Angst und das Gefühl einer unausweichlichen Bedrohung deprimieren und lähmen.
  3. Bedrohliche Informationen sind unangenehm und werden tendenziell angezweifelt, rationale Gründe werden für das emotional verursachte Nichthandeln gesucht, und Verantwortung wird auf Andere abgewälzt oder auf später verschoben.
  4. Kognitive Dissonanz: Wenn das faktische Denken und Handeln mit den eigenen Grundüberzeugungen im Widerspruch steht, wird das „kognitive Dissonanz“ genannt. Sie fühlt sich unangenehm an. Um dieses unangenehme Gefühl beiseite zu schieben, wird der wissenschaftliche Konsens angezweifelt, werden (ebenso widersprüchliche) Rechtfertigungen gesucht oder wird nur das wahrgenommen, was der eigenen Haltung entspricht („confirmation bias“).
  5. Soziale Dissonanz: Menschen ist soziale Anerkennung innerhalb ihrer Gruppe (Familie, Freunde, Kollegen usw.) wichtig. Wenn sie sich zwischen einer neuen Meinung und dem bisherigen Gruppenkonsens entscheiden müssen, gewinnt oft der Gruppenkonsens. Dadurch schützen sie ihren gesellschaftlichen Status, ihre Identität und ihren Selbstwert.

Charakterköpfe

Beim Thema „Klimawandel“ zeigte eine große Überblicksstudie, die 25 Umfragen und 171 Studien als 56 Ländern analysierte, wer den menschengemachten Klimawandel tendenziell anzweifelte:

Wer sich mit konservativen politischen Parteien identifiziert und eine freie Marktwirtschaft sowie hierarchische und individualistische Werte bedeutsam findet, zweifelt den Klimawandel eher an. Dagegen spielen Bildung, Geschlecht und eigene Erfahrungen mit Extremwetterereignissen, die man für entscheidend halten könnte, keine große Rolle. Insgesamt hängen die Ansichten einer Person über die globale Erwärmung nur schwach mit dem Ausmaß ihres umweltfreundlichen Verhaltens zusammen.

Der Charaktertyp ist entscheidend. In diesem Fall sind das Präferenzen für Beständigkeit und Kontrolle, die zu entsprechenden Werten und politischen Überzeugungen führen. Bildung oder Erfahrung zählen nicht. Über diese eher gefühlten als bewussten Vorlieben muss man mit ihnen sprechen, statt über den Klimawandel. So kann vielleicht ein Zugang gefunden werden, um irgendwann die Sache mit dem Klima doch noch diskutierbar zu machen.

Präferenzen sind so ähnlich wie ein persönlicher Geschmack. Über den lässt sich bekanntlich nicht streiten. Hier sind Empathie und Respekt besonders wichtig. Der Andere leugnet den Klimawandel nicht aus Boshaftigkeit, sondern er möchte ihn am liebsten verdrängen, weil er sich nach Beständigkeit und Kontrolle sehnt. Denn der Klimawandel ist ein übermächtiges, bedrohliches Beispiel für Wandelbarkeit und Ohnmacht. Diese innere Not gilt es zu erkennen und zu respektieren.

Das Bedürfnis nach Beständigkeit und Kontrolle wird bei Corona und Zuwanderung übrigens auch stark strapaziert. Der Widerstand dagegen ist kein Zufall, sondern Folge psychischer Voreinstellungen. Auch wer keine Spinnen mag, versucht sie zu meiden.

Das gilt ebenso hinsichtlich anderer politischer Blickwinkel: Von links wird oft bestritten, dass es eine Überbevölkerung auf der Welt gäbe. Und offene Grenzen werden für selbstverständlich erachtet, obwohl legalisierte und kontrollierte Zuwanderung Menschen vorm Ertrinken und arme Länder vor „brain drain“ bewahren könnte. Sie ähneln darum eher Mutter Theresas religiöser Liebe für die Armut und der westdeutschen Propaganda, aus der DDR zu fliehen. Wer gegen eine durchgenderte Sprache und die „Cancel culture“ ist, ist auch nicht gleich homophob, misogyn und rassistisch.

Auf das Timing kommt es an

Auch noch interessant ist das Modell der „selbstregulierten Verhaltensänderung“, die in drei Schritten abläuft:

  1. Ich entwickle die Absicht zu einem Ziel,
  2. dann kommt eine bestimmtes, gewünschtes Verhalten auf die To-Do-Liste,
  3. schließlich geht es an die Umsetzung.

Auf jeder Etappe ist eine Person für verschiedene Arten der Unterstützung empfänglich. Zur falschen Zeit ist nichts richtig: Man ist noch nicht so weit – oder schon längst weiter!

Der kleine Kommunikationsknigge

  • Geschützter Raum: in einer sicheren und angenehmen Umgebung miteinander sprechen; ohne Zeitdruck, ohne sozialen Druck (andere Zuhörer).
  • Gesprächspartner wertschätzen: persönliche (oder gruppenspezifische) Ansprache, individuelles Gespräch; den Gesprächspartner kennenlernen (Persönlichkeit, Werte, Überzeugungen) und wertschätzen; plausible Argumente und Ansichten anerkennen.
  • Richtiges Timing: Etappen der „selbstregulierten Verhaltensänderung“ beachten, siehe oben.
  • Zuhören und aufeinander eingehen: genau zuhören und ebenso genau aufeinander eingehen, damit nichts unklar bleibt.
  • Grundwissen mitteilen (ruhig auch eigene Wissenslücken offenlegen, um Vertrauen aufzubauen und vielleicht gemeinsames Weiterforschen zu vereinbaren).
  • Psychologische Barrieren: Die fünf „psychologischen Barrieren“ beim Diskutieren beachten, siehe weiter oben.
  • Persönlich ausmalen: Das Thema möglichst konkret und persönlich machen, dabei aber nicht den Teufel an die Wand malen, sondern das Engagement für die eigene Gesundheit oder das Wohlergehen der eigenen Kinder ausmalen. „Umwelt“, „Menschheit“ und „Welt“ sind zu abstrakt.
  • Konstruktiv sein: Ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und ein konkreter Handlungsplan (was tun? was ist effektiv?) ermuntern zum Handeln.
  • Persönliche Wege finden: Herausfinden, inwieweit Klimaschutz mit den Werten des Anderen in Einklang gebracht werden kann und welche individuellen Möglichkeiten es gibt (z.B. „Fleisch muss weiterhin sein, aber regional einkaufen und mehr Radfahren geht.“).
  • Positive Emotionen wie Hoffnung, Fürsorge und Gemeinschaft motivieren.
  • Soziale Bindungen aktivieren: Findet der Gesprächspartner eine Person oder Gruppe wichtig, die sich bereits in diesem Gebiet engagiert?