Moralisch einwandfreie Fake News

„Motivated reasoning“, also „motiviertes Begründen“, soll dafür verantwortlich sein, dass sachlich gut begründete Schlussfolgerungen abgelehnt werden, wenn eine Alternative den subjektiven Überzeugungen moralisch näher kommt. Das bedeutet: Persönliche Gründe können wichtiger sein als sachliche.

Moralische Generalabsolution

Je moralischer die eigene Absicht ist, desto weniger Gründe müssen für sie sprechen. Moralische Überlegungen ersetzen Sachgründe. Am ehesten verständlich ist das, wenn es um Familie und Freunde geht. Da sind Versuchspersonen leichter geneigt, Fünfe gerade sein zu lassen, also den Fakten zugunsten der persönlichen Beziehung weniger Raum zu geben.

Sechs psychologische Gründe

Für sogenannte „Wissenschaftsskepsis“ – in Wirklichkeit keine Vernunftkritik, sondern eine irrationale Abneigung – zählt der australische Psychologe Matthew Hornsey sechs Gründe auf:

  1. Ideologien
  2. Eigeninteressen
  3. Verschwörungsglaube
  4. Ängste
  5. Persönliche Identität
  6. Soziale Identität

Wer kein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein hat, steht dem Thema „Klimawandel“ zunächst vielleicht unentschieden gegenüber. Wenn dann aber Windräder die heimische Landschaft „verschandeln“, kann er leicht zum Windkraft-Gegner und Klimawandel-Leugner werden. Wer in fossile Energien investiert hat, wird den Klimawandel umso mehr verharmlosen oder leugnen wollen.

Wer gerne an Verschwörungen glaubt, ist leicht geneigt, bei einem Thema wie „Impfungen“ ablehnend zu denken. Das ist auch bei Personen zu beobachten, die Angst vor Spritzen haben. Vorliegende Überzeugungen oder Ängste führen dazu, dass dementsprechend die Fakten gesichtet, gewichtet und zur subjektiven Voreinstellung passende Schlussfolgerungen gezogen werden.

Wenn solche Einstellungen als besonders wichtig erachtet werden, sind sie ein Teil der persönlichen Identität. Sie zu vertreten, stärkt das Selbstbewusstsein. Wenn Gleichgesinnte die eigenen Ansichten teilen, entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl. Die persönliche Identität wird dann auch zur sozialen Identität. Dem Gruppenkonsens widersprechende wissenschaftliche Erkenntnisse haben dann keine Chance mehr, aus sachlichen Gründen akzeptiert zu werden.

Schlussfolgerung

Darum haben sachliche, gut begründete und mehrheitlich als plausibel erachtete Argumente wenig Erfolgsaussichten, wenn sie auf Personen treffen, die aus Ideologie, Eigeninteresse, Verschwörungsglaube, Angst, persönlicher und sozialer Identität dagegen sind. Erst recht nicht, wenn mehrere oder alle dieser Faktoren vorliegen.

Dann muss über diese persönlichen Voraussetzungen gesprochen werden. Sonst wird der wahrscheinliche Grund für die Meinungsverschiedenheit verkannt.