Jurassic World landet auf dem Boden der Tatsachen

Diese Woche ist der dritte Jurassic-World-Film in die Kinos gekommen. „Jurassic World – Ein neues Zeitalter“ hat durchwachsene Kritiken bekommen aus Gründen, die nun wirklich Geschmackssache sind: Der Film verzettele sich in mehreren Handlungssträngen, die Cast sei zu groß, die Dinos seien Nebensache, die Hauptsache – eine Plage biblischen Ausmaßes mit Paläo-Heuschrecken – sei Nebensache. Aber man darf sich von solchen Schreibereien nicht den Kinobesuch verderben lassen.

Der Abschluss der zweiten Jurassic-Trilogie hat im englischen Original den Titel-Zusatz „Dominion“. Wessen „Dominion“ („Herrschaft“) ist die Frage? Das der Menschen, oder das der (Raub-)Dinosaurier? Und wenn es wirklich das Dominion der Menschen wäre, wäre es eine Gewalt- und Ausbeutungstyrannei oder eine verantwortungsbewusste, redliche Haus-Vorsteherschaft, wie es der lateinische Wortsinn und die Tendenz aller sechs Jurassic-Park/World-Filme nahelegt?

Im Deutschen lautet der Titel-Zusatz „Ein neues Zeitalter“. Auch das ist ein guter Titel. Denn am Ende des vorherigen Films entkamen die Dinosaurier in freie Wildbahn und haben sich seitdem weltweit ausgebreitet. Einige Szenen am Filmbeginn spielen durch, wie Dinos das Alltagsleben moderner Menschen durcheinander bringen könnten. Manche missgestimmte Kritiker hätten sich das wohl als erschöpfende Filmhandlung gewünscht. Der Film selber lässt das Thema nach ein paar Minuten ruhen und widmet sich weiteren Komplikationen, um erst nach vollbrachter Abwendung des Weltuntergangs am Filmende wieder darauf zurückzukommen. Denn erst dann ist abschließend klar geworden, dass der Hochmut profitgieriger Geschäftsleute eine Gefahr für Mensch und Natur ist, und dass die respektvolle Koexistenz mit der Natur fortan das Leben auf der Erde prägen solle.

Eine der besagten Komplikationen ist die Enkelin eines der Jurassic-Park-Mitbegründer Benjamin Lockwood. Maisie Lockwood (gespielt von Isabella Sermon) trägt ein genetisches Geheimrezept in sich, mit dem die Welt gerettet werden könnte. Wovor? Vor der anderen Komplikation, der Apokalypse in Form einer Heuschrecken-Plage, für die der Biotech-Konzern „Biosyn“ verantwortlich ist. Die Megafauna-Heuschrecken von „Biosyn“ fressen alles Getreide weg, und damit die Nahrung für Menschen und zugleich die Nahrung für die tierische Nahrung der Menschen. Nur das patentierte Gentechnik-Getreide von „Biosyn“ lassen sie stehen. Glücklicher kann ein Zufall für die Rendite ja kaum ausfallen … .

Die realweltliche Entsprechung sind Glyphosat und dagegen resistente bt-Sorten. Das Totalherbizid Glyphosat tötet sämtliche Pflanzen. Nur die gentechnisch veränderten Saatgut-Produkte von Monsanto und anderen Lizenznehmern bleiben unbehelligt. Damit lassen sich satte Gewinne einfahren, wird die Landwirtschaft von einem oder wenigen Konzernen abhängig, schrumpft die Biodiversität, und wachsen mit den gentechnisch veränderten Monokulturen die Gefahren für die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Wenn ein solches Geschäftsmodell global durchgesetzt wird, werden solche Konzerne das „Dominion“ in Form eines Oligo- oder Monopols haben, selbstverständlich eine Preis-Tyrannei ausüben, und bei eventuellen Produktfehlern oder Schädlingsbefall ihrer Monokulturen für globale Hungerkatastrophen verantwortlich sein.

„Biosyn“, eine treffende Worterfindung, die „bio sin“ ausgesprochen wird, also „Sünde am Lebendigen“. Kein Wunder, das man davon eine biblische Plage erwarten kann! Der psychopathische Biosyn-Chef Lewis Dodgson ist der Bösewicht, der menschenverachtend seine Agenda durchziehen will. Seine Figur ist etwas schablonenhaft. Aber ist das eine Drehbuchschwäche oder Wirklichkeitstreue? Wie gut, dass drei hungrige Dilophosaurier für späte Gerechtigkeit sorgen! Filme aus Hollywood sind eben zum Träumen da … – und halten, sofern sie eine kathartische Wirkung entfalten, leider von realer Empörung und Aufstand ab. Die Schauspieler haben das dann bereits stellvertretend für den Zuschauer getan.

Jedenfalls versucht das Trio der Original-Trilogie, gespielt von Sam Neill, Laura Dern und Jeff Goldblum, dem finsteren Treiben von Biosyn ein Ende zu setzen. Für Sam Neill und Laura Dern wird es dabei zu guter Letzt ernst. Und Jeff Goldblum darf ein paar Seitenhiebe, nicht ohne Selbstironie, wegstecken. Parallel sucht das Trio der zweiten Trilogie, gespielt von Chris Pratt und Bryce Dallas Howard sowie Velociraptor-Mama Blue, nach einer Menschen- und einer Velociraptor-Tochter, die mehr verbindet als der Augenschein erahnen lässt. Schließlich treffen alle zusammen – und immer wieder auf diverse Saurier. T-Rex, Giganotosaurus und Therizinosaurus liefern sich zuletzt gar ein Triell. Spektakel muss sein. Gerade bei einem visuellen Medium. Und bei so vielen Trilogien und Trios sowieso!

Man muss kein Prophet sein, um zu erraten, dass bei einem solchen Hollywood-Film am Ende die Guten gewinnen, die Bösen gefressen wurden, und die Megafauna friedlich dem Sonnenuntergang entgegen trottet.

Die Moral von der Geschicht‘:

  1. Koexistenz mit und Respekt vor der Natur, auch bzw. obwohl der arrogante, künstliche Eingriff des Menschen das Dino-Problem erst in die Menschenwelt gebracht hat,
  2. Vorsicht vor der Gentechnik als potentieller Büchse der Pandora, die das Ende schneller einläuten mag, als man A-T-C-G buchstabieren kann.

Ist das rückwärtsgewandte Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit oder verantwortungsbewusste, kritisch-aufgeklärte Ethik? Auf jeden Fall ist der Film eine Mahnung. Und die Wahrheit dürfte, wie so oft, in einer differenzierten Betrachtung und Beurteilung liegen. Gegen patentfreie, gemeinnützige Entwicklungen wie Goldener Reis oder Corbevax dürfte wenig bis nichts einzuwenden sein. Gegen umwelt- und gesundheitsschädliche Produkte wie Glyphosat und die dagegen gentechnisch resistent gemachten Saatgutsorten sowie gegen menschenverachtende Lizenzmodelle sehr wohl.

Im Übrigen sollten ausgestorbene Tierarten in der Vergangenheit gelassen werden – wenigstens solange die Menschheit noch das sechste große Artensterben in der Erdgeschichte durchführt. Aber auch, wenn sie sich eines Besseren besinnen sollte: Wozu Ausgestorbenes oder Ausgerottetes wiederauferstehen lassen? Das ist nicht nötig. Das Leben findet einen Weg, frei gewordene Lebensräume und Nischen mit lebenden oder mit neuen Arten zu füllen. Wenn nur nicht wieder der Mensch es verhindert.

Die Natur kann sehr gut ohne den Menschen. Aber der Mensch nicht ohne die Natur.

Update, 15.06.2022: Fact vs. Fiction: Giganotosaurus hätte etwa gleichgroß wie Tyrannosaurus Rex sein müssen, und die Stacheln auf seinem Rücken sind frei erfunden. Der Mosasaurus war beileibe nicht doppelt so groß wie ein Buckelwal, sondern war sogar etwas kleiner als ein ausgewachsener Buckelwal. Rieseninsekten lebten vor doppelt so langer Zeit wie die Dinosaurer im Karbon-Erdzeitalter, als die Atmosphäre über 50 % mehr Sauerstoff enthielt. Beim heutigen Sauerstoffgehalt könnten sie trotz Gentechnik keinesfalls überleben. Die Dimetrodone und Dicynodonten waren keine Dinos, sondern Synapsiden, die Vorfahren der Säugetiere sind – und uns damit evolutionär näher als jedem Dinosaurier (Sauropsiden). Sie lebten 30 Mio. Jahre vor den ersten Dinosauriern im Perm-Erdzeitalter.

Update, 20.06.2022: Guter Überblick mit dem Who’s Who der Dinosaurier. „Darf’s etwas größer sein?“ ist das wenig überraschende Rezept für das Dinosaurier-Design in den Jurassic-Filmen.