Eiskalte Dusche für Verbraucher

Der Gaspreis soll im kommenden Winter verdoppelt oder verdreifacht werden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die angebliche Gas-Knappheit wird allein Russland in die Schuhe geschoben, während Gas von Deutschland aus weiterhin nach Polen und selbst Marokko geliefert wird, sowie der Stromexport nach Frankreich neue Rekorde feiert. Mit der antisozialen Gasumlage werden Verbraucher zudem gezwungen, die Profite von in- und ausländischen Gasunternehmen zu sichern.

Das Problem ist komplex

Erdgas wird global schon seit 2021 verstärkt nachgefragt wegen der Wirtschaftsbelebung nach den ersten Pandemie-Roßkuren, aber auch national dient es hier als vermehrt nachgefragter Lückenfüller, um den Ausstieg aus der Kohle abzufedern, weil die Wende hin zu regenerativen Energien hier jahrzehntelang aktiv behindert wurde, namentlich unter der Regentschaft der immer noch viel zu beliebten „Klimakanzlerin“ Angela Merkel.

Da Gas und Strom auch der Spekulation an der Energiebörse ausgesetzt sind – also dem Ort von frei waltender Marktwirtschaft -, und die dortigen Erwartungen voller Vorfreude auf Maximalrenditen in immer neue Höhen schießen und absurde Blasen aufblähen, verursacht die dortige irrationale Casinomentalität eine zusätzliche Preisspirale „aus Angst vor Verknappung“. Bereits im Dezember 2021 lag der Großhandelspreis für Gas an der Börse 500 % über dem Vorjahrespreis. Das war zwei Monate vor dem Beginn des Ukrainekrieges! Die unsichtbare Hand des freien Marktes waltet in der existentiell wichtigen Energiewirtschaft, weil die EU die Branche seit den 1990er Jahren liberalisiert hat. Diesen Erfolg kapitalistischer Misswirtschaft sehen und spüren wir nun an kaltem Wasser, in wenigen Wochen oder Monaten auch kalter Wohnung und am Herzschmerz beim Blick auf die monatlichen Heizungs-Abschlagszahlungen.

Weil der Gaspreis bei einigen Marktteilnehmern an den Erdölpreis gekoppelt ist, hat dessen CO2-Bepreisung zur Preissteigerung auch beim Gas geführt. Ebenso hat Gas aber auch einen eigenen CO2-Preis, so dass hier eine moderate Teuerung im Doppelpack zum Tragen kommt.

Nun kam vor ein paar Tagen noch die „Gasumlage“ hinzu. Sie macht aus bisher 100 Euro Gaskosten 109,59 Euro, ist also eher das i-Tüpfelchen auf dem Tortenstück, das Otto-Normal-Verbraucher den Energiebossen darreicht. Und wenn die Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 7 % für Gas tatsächlich kommt, wird daraus beinahe ein kostentechnisches Nullsummenspiel, das Endverbraucher schikaniert und Steuereinbußen verursacht, nur um die Gewinne von hochlukrativen Energiekonzernen zu sichern. Wie in der Finanzkrise und Griechenlandkrise werden letztlich aber auch hier nicht Konzerne, Banken oder Länder gerettet, sondern die Kapitaleinlagen von Anlegern. Im Kapitalismus wird Kapital gerettet, nicht Menschen.

Das Freiheits-Fracking-Gas (Flüssigerdgas, LNG) aus dem gelobten Land, den USA, kann das globale Nachfragehoch auch nicht bedienen, so dass LNG nur punktuell seinen politischen Segen entfaltet, wie etwa, indem RWE es in Spanien regasifizieren und ins imperialistische Marokko liefern lässt. Marokko, der nordwestafrikanische Verbündete, erhält im Streit um die völkerrechtswidrig von ihm besetzte Westsahara von Algerien kein Erdgas mehr. Doch befreundeten Völkerrechtsbrechern muss schließlich geholfen werden. Weil das Fracking schon für sich genommen, und die Kühlung des Frackinggases auf unter -160° Celsius sowie dessen weltweite Verschiffung ein einziger ökologischer und energetischer Amok-Staffelllauf sind, kann man diesen LNG-Engpass allerdings nicht wenig genug bedauern. Dieses ökologische Kapitalverbrechen wird insbesondere von den Grünen gefordert.

2021 musste der russische Haupt-Gasproduzent Gazprom nach einem sehr kalten Winter zunächst die russischen Gasspeicher füllen, die dann im ungewöhnlich heißen Sommer 2021 durch vermehrte Klimaanlagennutzung erneut geleert wurden. Technische Probleme in einem Gasfeld kamen hinzu, so dass die russischen Gasspeicher das ganze Jahr über kaum ausreichend aufgefüllt werden konnten, weil das Gas zur Erfüllung von Lieferverträgen exportiert werden musste. 2021 erhöhte Gazprom seine Gasförderung um 20 % und exportierte ebenso viel mehr ins Ausland – nach Deutschland sogar 40 % mehr als 2020. In diesem Jahr 2022 sorgte die planmäßige Wartung von Nord Stream 1 sowie die Nichtauslieferung einer wichtigen Turbine durch Deutschland dazu, dass durch diese Pipeline nur die Vertragsmenge für Deutschland gepumpt wurde, aber nicht genug, dass damit deutsche Unternehmen dieses Gas gewinnbringend an europäische Nachbarn hätten weiterverkaufen können. Deren Exportgeschäft ist also geplatzt. Den entgangenen Gewinn holen sie stattdessen über höhere Gas- und Strompreise rein.

In Frankreich ist Strom gerade knapp, weil der menschengemachte Klimawandel der dort dominierenden Atomindustrie aufgrund ausgetrockneter Flüsse das billige Kühlwasser entzieht. Und so kauft Frankreich, wo allgemein mit (Atom-)Strom geheizt wird (energetisch gesehen kompletter Luxus und Verschwendung), fleißig Strom aus Deutschland ein. Der wird hier nach wie vor wesentlich aus Kohle und Erdgas gewonnen. Allerdings hat die Kohle derzeit auch ein Problem, denn die Niedrigwasserstände der Flüsse erschweren ihren Transport. Der Klimawandel gibt der Atom- und Kohleverstromung einen Warnschuss, der mal wieder nicht gehört werden wird. Jedenfalls lassen diese vermehrte Auslandsnachfrage und Produktionsprobleme die Preise auch nach oben schießen.

Die Lösung ist anspruchsvoll

Der selbstverschuldete Verzicht auf russisches Gas, die unverantwortliche Spekulation mit Grundgütern an der Energiebörse und die unverzeihlich verschleppte Energiewende erfordern nicht weniger als eine echte Revolution, denn die bisherigen markt- und kapitalfreundlichen Rezepte verschweigen, dass der Kapitalismus und seine außenpolitische Entfaltung als Imperialismus nicht die Lösung, sondern das Problem sind:

  • Imperialistische Aggressionen des Westens gegen Russland (NATO-Osterweiterung, Sanktionen, Umsturzversuche), um sich seiner Rohstoffe zu bemächtigen, wogegen Russland mit einem Präventivschlag auf die Aufrüstung der Ukraine reagiert hat.
  • Die Privatisierung natürlicher und öffentlicher Güter, um wenigen Privatleuten die vollen Taschen noch voller zu stecken, was der breiten Masse nur noch mehr Geld aus deren schmalen Taschen zaubert.
  • Der Schutz der zentralisierten fossilen und nuklearen Energiewirtschaft, die undemokratischen Einfluss auf politische Entscheidungen genommen hat und immer noch nimmt – zum Schaden heutiger und künftiger Generationen.

Eine Gaspreisbremse nach dem Vorbild vieler europäischer Nachbarn sowie die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 könnten zwar problemlos die Gaspreisinflation stoppen, aber alle anderen Probleme wären damit trotzdem noch nicht angegangen – und potentieller Dritter Weltkrieg sowie globale Klimakatastrophe sind nun mal keine kleinen, nicht weiter beachtenswerten Probleme, sondern an ihnen entscheidet sich, ob es mit der Menschheit weiter geht oder nicht.

Das Fridays-for-Future-Motto „System change, not climate change“ beziehen diese nur auf die fossile Energiewirtschaft, der Systemwechsel muss aber die gesamte ökonomische Grundlage umfassen. Sonst verpufft jede gut gemeinte Detailkorrektur, weil die Kapitalmacht ihre Kapitalmehrungslogik dann eben an anderen Stellen durchbrechen lassen muss.

Anders als gemeinwohlorientiert, ökologisch nachhaltig und klimaneutral kann und wird es nicht gut weitergehen können. Darüber darf sich niemand Illusionen machen. Was wir jetzt im Rekordsommer 2022 spüren, ist nur ein Hauch von Andeutung dessen, was die jungen und nachfolgenden Generationen erwartet.

Jede Revolution fängt klein damit an, dass man sich zuerst selber kritisch informiert, dann mit Anderen darüber spricht, dann gemeinsame Handlungsoptionen überlegt, und diese dann umsetzt. Jeder, überall. So werden aus Einzelnen Wenige, und aus diesen immer mehr. Anders geht es nicht.