Chinas Ritt auf dem Tiger

Das kommunistische China will seit Deng Xiaoping das Potential des Kapitalismus nutzen, um damit inneren Fortschritt zu erzielen. Nach einem alten chinesischen Sprichwort muss es den Kapitalismus wie einen Tiger reiten, ohne dabei absteigen zu können.

Basis und Überbau

Karl Marx meinte, dass sich die Politik (Überbau) nach der wirtschaftlichen Grundlage richtet (Basis). Das bedeutet, wenn China kapitalistisch wirtschaftet, wird auch die Politik kapitalistisch werden.

Die Kommunistische Partei Chinas versucht es trotzdem. Zeigt China, dass Marx falsch lag, und verhilft es gerade dadurch dem Kommunismus zum Sieg? Oder behält Marx recht, und der Kapitalismus siegt in China? Wer gewinnt: Dogmatismus, Pragmatismus oder eine zwiespältige Mischung aus beidem? Die Zukunft wird es zeigen.

Dieser Konkurrenzkampf mit dem Kapitalismus bringt viele Nachteile des Kapitalismus mit sich. Menschen und Natur werden massiv ausgebeutet: 16-Stunden-Arbeitstage, Waldrodungen, fossiler Energiehunger, extreme Umweltverschmutzung.

Wenn am Ende keine lebenswerte Welt mehr übrig ist, haben alle verloren. Was nützt es, erfolgreich ein System zu reiten, wenn dabei die Welt zu Tode geritten wird? Ist der Kapitalismus bezwingbar, bevor die Umwelt zur Giftwüste geworden ist? Oder kommt er erst zum Erliegen, wenn nichts und niemand mehr übrig ist, um ihn noch zu praktizieren?

China und seine Milliardäre

Heute hat China 922 Milliardäre, mehr als jedes andere Land auf der Welt. Allein im letzten Jahr kamen 253 Milliardäre hinzu. Allerdings wurden in den letzten acht Jahren auch hundert Millionen Chinesen aus der absoluten Armut geholt.

Milliardäre, die der Parteiführung gegenüber kritisch auftreten, werden jedoch hart angefasst. Wer zu mächtig wird, wird gestoppt. Wer korrupt ist, wird inhaftiert oder sogar hingerichtet. Wer der „Karriereberatung“ der Behörden folgt, hat eine Chance auf Rehabilitation.

Kleine Chronologie des Tigerritts

2013

  • Xi Jinping kündigt an, hart gegen Korruption vorzugehen: Zuerst bei Staatskonzernen, Verwaltungschefs und Armee, dann im Finanzsektor.
  • Seitdem wurden zehntausende Beamte, Staatsmanager und Funktionäre vor Gericht gestellt.

2015

  • Guo Guangchang, Gründer des Investmentkonglomerats Fosun, verschwand, „half den chinesischen Behörden bei Ermittlungen“, tauchte wieder auf und blieb an der Unternehmensspitze.

2016

  • Xu Xiang, Hedgefonds-Milliardärs, wurde öffentlichkeitswirksam auf einer der wichtigsten Brücken Chinas, die dafür eine halbe Stunde gesperrt wurde, festgenommen und wegen Börsen-Manipulation zu 5 1/2 Jahren Haft verurteilt.
  • Zhou Chengijan, Gründer einer Modekette, wurde festgenommen, „um Ermittlern bei Untersuchungen wegen möglicher Aktienkursmanipulationen zu helfen“, kehrte zwar zurück, seitdem wird das Unternehmen aber von seiner Tochter geführt.

2017

  • Xiao Jianhua, Milliardär, öffentlichkeitswirksam verhaftet in Hongkonger Luxushotel, wurde mit einem Laken über dem Kopf in einem Rollstuhl sitzend abgeführt. Soll angeblich „mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten“. Sein Firmenkonglomerat Tomorrow Group wurde in 9 Firmen aufgespalten, die nun von den Behörden verwaltet werden. Er ist seitdem verschwunden.
  • Wu Xiaohui, Gründer des Versicherungsriesen Anbang, verhaftet und wegen Finanzverbrechen zu 18 Jahren Haft verurteilt.

2020

  • Jack Ma, damals reichster Mann Chinas, verschwand, nachdem er kurz zuvor in einer Rede regulatorische Hemmnisse kritisiert hatte. Er ist Gründer des Onlinekaufhauses Alibaba, und wollte im letzten Jahr mit Ant und Alipay an die Börse gehen, was der größte Börsengang der weltweiten Finanzgeschichte geworden wäre. Das wurde abgesagt. Als Ma wieder auftauchte, sagte er, er wolle sich künftig stärker karitativen Zwecken zuwenden.

2021

Fortsetzung folgt, es sei denn, alle beherzigen das Beispiel von Zhong Shanshan, dem neuen reichsten Mann Chinas. Er hält sich „aus der Politik heraus und gerät damit nicht in Konflikt mit der Führung der Kommunistischen Partei“.