Wer vom Krieg redet, darf vom Kapital nicht schweigen

Friedensverhandlungen

Friedensverhandlungen gibt es erst, wenn beide Seiten kriegsmüde und die Situation hoffnungslos festgefahren ist. Das ist immer so bei Kriegen. Solange noch Hoffnung auf einen Sieg besteht, oder zumindest eine drohende Niederlage nicht zu erkennen ist, wird weiter gekämpft. Die Komplikation ist hier, dass es eigentlich um drei Seiten geht, die Krieg führen: Russland ist die eine, die Ukraine und der Westen sind die beiden anderen Seiten. Und da der Westen nicht selber blutet, hat er einen besonders langen Atem in diesem Krieg.

Weil die westliche, ebenso aber auch die russische Rüstungsindustrie endlos nachproduzieren können, weil die Westukrainer und der Westen unbedingt den endgültigen Bruch mit Russland wollen, und weil Russland keinesfalls auf strategische Sicherheit an seiner Westgrenze verzichten kann, wird der Ukrainekrieg wohl noch noch einige Jahre dauern.

Friedensverhandlungen müssen keinesfalls bedeuten, was Viele befürchten, dass Russland nun sämtliche eroberten Gebiete behielte. In Friedensverhandlungen können solche Gebiete sehr wohl als Verhandlungsmasse getauscht werden – z.B. gegen eine ukrainische Neutralitätsgarantie (auch wenn eine solche derzeit illusorisch erscheint).

Genau deswegen will die westliche Seite nicht von Friedensverhandlungen reden, denn sie will unbedingt – der eigentliche Grund für den ganzen Konflikt – Russland (d.h. das Drittel aller weltweiten Rohstoffe, das unter seinem Boden liegt) kontrollieren, und das gelingt, wenn kein westtreuer Trunkenbold im Kreml sitzt, strategisch nur über das Territorium der Ukraine, da die Herrschaft über seine Tiefebene der einzige Hebel für eine konventionelle Invasion nach Russland wäre (obwohl nuklearstrategisch riskant).

Kapital

Der eigentliche Kriegstreiber ist der Westen bzw. das Westkapital, das die freie Ausbeutung der russischen Rohstoffe verlangt. Darum wurde die NATO nach Osteuropa erweitert, darum galt ihnen Putin von Anfang an als unerwünschter „Autokrat“, darum wurden Farbenrevolutionen in allen osteuropäischen Ländern angestiftet (gerne auch in Russland mit Nawalny), darum wurde der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine nach dem blutigen Maidanputsch (der nie untersucht und aufgeklärt wurde, weil ukrainische Nazis ihn besorgt hatten) die russische Sprache verboten, was unweigerlich zu deren Sezession führte (teile und herrsche), darum begann der ukrainische Bürgerkrieg, weil der IWF der Ukraine nur dann Kredite gewähren wollte, wenn sie die Ostgebiete wieder unter ihre Kontrolle brächte, darum wurde die Ukraine seitdem mit westlichen Waffen aufgerüstet, wurden die abtrünnigen Gebiete von Strom, Gas und Wasser abgeschnitten, wurde ihr Beschuss zuletzt eine Woche vor Beginn des russischen Angriffs zehnfach erhöht (nach Zahlen der OSZE-Beobachter).

Tabu

Solange das Westkapital nicht akzeptiert, dass es Zugang zu russischen Rohstoffen nur auf Augenhöhe haben könnte, solange wird es von der Ukraine nicht ablassen. Solange wird es dort keine Friedensverhandlungen geben. Solange wird auch der mediale und öffentliche Diskurs die selbstdefinierten Scheuklappen (die Tabus, der russischen Seite politische Selbstständigkeit und ein strategisches Sicherheitsbedürfnis zuzugestehen) nicht ablegen.

Henry Kissinger verweist auf Schlüsselereignisse in den Jahren 1916 und 1917 und warnt davor, Russland zu unterschätzen und Friedensverhandlungen schlecht zu reden, denn man weiß nie, welchen weiteren Verlauf die Geschichte nehmen wird. Er nennt zwei unabsehbare Eskalationen, den Dritten Weltkrieg und einen Zerfall Russlands in mehrere unkontrollierbare Atommächte. Ich würde die Machtübernahme durch Ultranationalisten noch hinzufügen. Diese Entwicklungen wären allesamt schlechter für den Westen als die jetzige Lage. Keine dieser Entwicklungen könnte man vernünftigerweise noch als „Sieg“ der Freiheit oder des Westens beschreiben. Darum sind Friedensverhandlungen kein Verrat, sondern auch und bereits jetzt eine Forderung der Vernunft.