Neues Altes vom Toten Meer

Gleich zwei Nachrichten vom Toten Meer: Die aktuelle Ausgrabungskampagne hat in den dortigen Höhlen eine Reihe bedeutender archäologischer Funde gemacht. Außerdem scheint ein als Betrüger verschrieener Antiquitätenhändler aus dem 19. Jahrhundert tatsächlich die einzigen bekannten Bibelhandschriften aus vorbiblischer Zeit angeboten zu haben.

Neue Höhlenfunde vom Toten Meer

Am Toten Meer gibt es viele Höhlensysteme, die sich über insgesamt etwa 160 Kilometer erstrecken. Davon wurde in den letzten Jahren bereits die Hälfte systematisch abgesucht, um Räubern zuvorzukommen. Zutage traten dabei u.a.

  • ein 10.500 Jahre alter Korb
  • ein 6.000 Jahre altes, natürlich mumifiziertes Kinderskelett
  • über 80 Fragmente von Schriftrollen, die biblische Texte enthalten, ca. 1.900 Jahre alt
  • Bronzemünzen, geprägt im „Jahr 1“ des jüdischen Aufstandes unter Bar Kochba gegen das Römische Reich, also aus dem Jahr 132 unserer Zeitrechnung

Die Schriftfunde reihen sich ein in eine lange Ausgrabungsgeschichte. Ab 1947 bis in die frühen 1950er Jahre wurden zahlreiche „Schriftrollen vom Toten Meer“ gefunden. Das waren über 25.000 Fragmente mit einem Alter zwischen 2.250 und 1.950 Jahren. Sie wurden bis 2010 in insgesamt 40 wissenschaftlichen Bänden veröffentlicht. Gebrauchstauglichere Übersetzungen gibt es im Buchhandel.

Entgegen populären, aber unwissenschaftlichen Erwartungen enthielten sie keine esoterischen Geheimnisse über den „wahren Jesus“, sondern waren „nur“ hochinteressant für die Entwicklungsgeschichte der biblischen Texte und für Erkenntnisse über die religiösen Vorstellungen der damals dort ansässigen jüdischen Bewegungen der Essener und der Jachad. Das wird auch hinsichtlich der neuen Schriftfunde zu erwarten sein.

Doppelt tragische Fundgeschichte

Die erste archäologische und bibelwissenschaftliche Sensation vom Toten Meer ereignete sich schon 1878. Beduinen hatten in einer Höhle am Toten Meer eine bis zu 2.700 Jahre alte Handschrift auf Pergament gefunden und einem Händler angeboten. Leider stand sie damals unter Fälschungsverdacht. Der mutmaßlich zu Unrecht beschuldige jüdische Antiquitätenhändler Wilhelm Moses Shapira nahm sich daraufhin das Leben. Der Originalfund ist verschollen. Nur noch Abschriften existieren.

Nun wurde Shapira von Idan Dershowitz von der Universität Potsdam rehabilitiert. Dershowitz hat gezeigt, dass die damals gegen Shapira vorgebrachten Vorwürfe auf unsorgfältige Abschriften der Originale zurückzuführen seien. Außerdem gibt es mehrere Notizblätter mit – teils erfolglosen – Übersetzungsversuchen Shapiras. So dumm kann ein Fälscher ja nicht gewesen sein, dass er nicht mal seine eigene Fälschung übersetzen kann. Etwas selbst auf Althebräisch zu verfassen ist wesentlich schwerer, als es zu übersetzen.

Bereits 2002 war David Frankel aufgefallen, dass die Spionagegeschichte im 5. Buch Mose wahrscheinlich eine spätere Hinzufügung sein müsse. Erstaunlicherweise gab ihm ein vor 120 Jahren gefundenes Shapira-Fragment darin Recht. Dass Shapira einen solch kühnen, aber richtigen Texteingriff erfunden hätte, wäre unwahrscheinliches Glück.

Bei den Shapira-Fragmenten handelt es sich um Texte, die deutlich kürzer als das kanonische 5. Buch Mose sind. Außer der Erzählung, wie Spione das „verheißene Land“ ausgekundschaftet hatten, fehlen Gesetzestexte und Gedichte. Anscheinend handelt es sich um Vorformen biblischer Texte aus einer Zeit, in der bisher nur hypothetisch die Entstehung der ersten Bibelschriften vermutet wurde.

Diese doppelt tragische Geschichte – ein Menschenleben verloren und einzigartige proto-biblische Textfunde verschollen – wirkt heute besonders erschütternd, wo Scannertechnik, Fotografie und radiologische Untersuchungen all die damaligen Probleme mit höchster Präzision umgangen hätten.