Karikaturen

Am 16.10.2020 wurde in Frankreich ein Lehrer ermordet, weil er im Unterricht eine obszöne Mohammed-Karikatur gezeigt und besprochen hatte.

Karikaturen können zum Nachdenken anregen, sie können provozieren, und sie können verletzen und hetzen. Was den Einen heilig ist, kritisieren Andere. Wichtig für beide Seiten ist ein gegenseitiges Verständnis, eine Empathie, die durch einen Perspektivwechsel eingeübt werden kann. Bei alldem steht Toleranz im Mittelpunkt. Wer wie urteilt und reagiert, sollte sich danach bemessen.

Jede Person soll sich frei über alles informieren, und frei über die eigenen Ansichten entscheiden. Karikaturen sollten nicht Gefühle, sondern das Denken provozieren.

Heiligkeit

Für säkularisierte Europäer ist Heiligkeit schwer zu verstehen. Religiöse Menschen leiden unter der Verspottung ihres Glaubenszentrums schwer. Heilig heißt unantastbar.

Für Nichtgläubige sind geliebte Personen, die eigene Würde und Integrität, und für grundlegend gehaltene Wahrheiten „heilig“, d.h. wir werden wütend bei der Verspottung unserer Eltern, Partner, Kinder oder Freunde, wir leiden unter Verachtung und Demütigung, wir sind empört über die Ablehnung von Demokratie und Menschenrechten.

Nehmen wir dies alles zusammen: Die erbarmungslose Herabsetzung der existentiell wichtigsten Bezugsperson und jeglicher Lebenswahrheit. Eine solche innere Qual ist es, die gläubige Menschen erleiden, wenn deren Gott und Glaube beleidigt wird. Gott und Glaube sind dabei untrennbar miteinander verbunden, so wie Liebe (nur um den Preis existentiell tiefer Trauer) nicht ohne die geliebte Person sein kann.

Wird das Unantastbare durch den Dreck gezogen, geht es nicht mehr um sachliche Kritik, sondern um emotionale Verletzung und soziale Ablehnung. Von der einen Seite gewollt, von der anderen Seite empfunden.

Kritik

Sachliche Kritik muss immer frei geäußert werden dürfen. Als einzige legitime Reaktion darauf haben Gegenargumente zu gelten.

Das ist auch für Gläubige wichtig, denn nur so wird Wahlfreiheit möglich. Tatsächlich wird so auch erst Glaube möglich, indem er den nicht mehr verstandesmäßig beurteilbaren Glaubenskern durch rationale Kritik von tradierten, aber unnötigen oder sogar störenden Relikten befreit.

Viele überflüssige Altlasten haften Religionen an, sei es der Glaube an eine Schöpfung in sechs Tagen oder daran, dass Ehrenmorde und Mädchenbeschneidung gottgewollt seien. Der Glaube ist hier von Ideologie, anachronistischen Missverständnissen oder durch Fremdtraditionen verdeckt. Kritik deckt dies auf.

Glaube und Überzeugung sind individuell zusammengestellte Ansichten über das, was einem plausibel erscheint. Sie werden im Laufe der Sozialisation, gegebenenfalls auch Indoktrination, angeeignet, und müssen mit Hilfe von kritischem Nachdenken auf ihre Plätze – oder vom Platz – verwiesen werden.

Für Viele sind religiöse Weltdeutungs-Angebote nicht überzeugend. Ihnen erscheinen wissenschaftlich begründete Anschauungen plausibler. Religiöse Aufforderungen sind für sie intellektuelle Zumutungen, die sie als belästigend und empörend empfinden. Das müssen Gläubige verstehen. Und tolerieren.

Toleranz

Wir müssen verstehen, dass wir andere quälen, wenn wir ihre Glaubensüberzeugungen unsachlich diffamieren. Das hat nichts mit sachlicher Kritik zu tun.

Kritik dient dazu, der Wahrheit (konsensfähig begründete Definition und Interpretation von Wirklichkeit) etwas näher zu kommen. Sie darf nicht dazu dienen, andere Menschen zu verletzen.

Toleranz meint das Aushalten von anderen Standpunkten. Sie muss von allen geübt werden. Sie gilt aber nicht uneingeschränkt. Intoleranz lässt sich nicht tolerieren, da sie die Toleranz aufhebt. So ist das in pluralen Gesellschaften.

Intolerante Ideologien mögen in abgeschotteten, homogenen und letztlich immer totalitären Gemeinschaften funktionieren. Für Europäer wäre das aber ein Rückschritt vor 1648, als mit dem Westfälischen Frieden die Religionsfreiheit normativ wurde. Soll unsere Zukunft so weit in der Vergangenheit zurück liegen?

Reaktionen

Aktionen und Veröffentlichungen, die den öffentlichen Frieden stören können, sind verboten. Hier kann der Rechtsweg beschritten, also Polizei oder Anwalt eingeschaltet werden.

Sachlicher Kritik ist mit sachlichen Entgegnungen zu begegnen.

Unsachliche Kritik wird am Nachhaltigsten in öffentlicher Diskussion zur Rede gestellt. Dazu kann das gesamte multimediale und öffentliche Spektrum benutzt werden: Eigene Kommunikationskanäle, Leserbriefe, Meinungsartikel, TV-Debatten, Unterschriftensammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, politische Streiks und was der Kreativität noch einfällt.

Im akuten Behelfsfall nützt auch die Mutter aller Deeskalationsmethoden: Ignorieren. Einfach auf Durchzug schalten!