Googles kleine Gewerkschaft

Auch im kapitalistischen Mutterland des „Union Busting“, der Zerschlagung von Gewerkschaften, gibt es sie, und manchmal auch neue: In den letzten Jahren herrscht im Silicon Valley so etwas wie eine Gründerstimmung für Gewerkschaften. Bei Amazon, Apple, Twitter, Cisco, IBM, Kickstarter und diesen Januar auch Googles Mutterkonzern Alphabet haben sich Gewerkschaften gegründet.

Widerstand gegen Geschäftspolitik

Das Gründungsstatement der „Alphabet Workers Union“ (AWU) hat jedoch einen Beigeschmack: Nach dem „Sturm aufs Kapitol“ verlangte die AWU, dass Alphabet den Youtube-Zugang des damaligen US-Präsidenten Donald Trump sperren solle. Alphabet hatte nur ein vorübergehendes Verbot verfügt, bis die Gefahr gebannt sei. Das Zweischneidige daran ist, dass solche zensorischen Maulkörbe auch gegen beliebige Andere verhängt werden könnten, also ein großes Missbrauchspotential haben.

Um mehr Geld geht es der AWU nicht. Die Gewerkschafter*innen verdienen gut. Die AWU setzt sich jedoch für gleiche Löhne und Sozialleistungen für Zeitarbeiter*innen ein. Insbesondere will sie sich aber in strategische Entscheidungen einmischen. Sie wollen nicht für Pentagon, Polizei, Grenzschutz oder autoritäre Regime arbeiten.

Frühere Skandale und bedenkliche geschäftliche Entscheidungen von Alphabet motivieren die Gewerkschafter*innen: 2014 wurde der Manager und Erfinder des Android-Betriebssystems, Andy Rubin, entlassen wegen Vorwürfen sexueller Belästigung von mehreren Frauen. Als 2018 bekannt wurde, dass er mit 90 Millionen US-Dollar entschädigt worden war, kam es innerhalb von 7 Tagen zu der größten Protestaktion bei einem Tech-Konzern. Weltweit gingen etwa 20.000 Beschäftigte auf die Straße.

Nebenbei bemerkt: Es ist wohl anzunehmen, dass die Digitalisierung innerhalb von Google die technische Grundlage dafür hergab. Nur bestehende Vernetzung und Kommunikationswege machen so eine schnelle Mobilisierung möglich. Die Produkte des Konzerns, also auch seiner Beschäftigten, wurden gegen ihn verwendet. Gemeinsam aufstehen kann nur, wer vernetzt ist.

2019 feuerte Alphabet fünf Beschäftigte, die Proteste gegen zwei politische Projekte organisiert hatten. Projekt „Dragonfly“ sollte eine Suchmaschine mit eingebauter Zensur und Kontrollfunktionen für die chinesische Regierung entwickeln. Projekt „Maven“ sollte dem Pentagon helfen, Menschen mittels KI-gesteuerter Drohnen zu verfolgen. Die Projekte waren so geheim, dass nicht einmal daran beteiligte Entwickler Kenntnis darüber hatten, woran sie arbeiten. Petitionen und Proteste bewogen Alphabet, die Projekte einzustellen.

Im Februar 2021 beschwerte die AWU sich bei der US-Arbeitsbehörde darüber, dass eine Beschäftigte beim Subunternehmer Adecco suspendiert worden war, weil sie Arbeitsbedingungen und Löhne von Leiharbeitern dokumentiert und mit ihnen Gespräche geführt hatte. Die Behörde kassierte die Suspendierung. Adecco muss Shannon Wait weiterbeschäftigen.

Lieber kleine als keine Erfolge

Die AWU ist mit 800 zahlenden Mitgliedern in einem Weltkonzern von über 120.000 Festangestellten und ebenso vielen Zeit- und Vertragsarbeitern eindeutig eine Minderheitengewerkschaft. Darum darf sie keine Tarifverhandlungen führen. Sie will daher mit Petitionen, Öffentlichkeitsarbeit und politischem Druck etwas bewegen. Auch wenn das nur kleine Erfolge sind.

Wenn eine kritische Masse Erfolge feiert, wird es interessant. Das ändert dann nicht gleich die Welt. Aber lieber kleine als keine Erfolge.

Digital-militärischer Komplex

Die Vorgehensweise von Alphabet bei Geheimprojekten lässt sich auch in Edward Snowdens Autobiografie „Permanent Record“ wiederfinden: Mitarbeiter von Geheimdiensten und von beauftragten Unternehmen arbeiten an kleinen Projektteilen, ohne zu wissen, wofür die einzelnen Funktionen, an denen sie arbeiten, später verwendet werden.

Die Zusammenarbeit von Unternehmen des Silicon Valley mit Militär und Geheimdiensten hat seit Jahren eine Dimension erreicht, die analog zum „militärisch-industriellen Komplex“ als „militärisch-digitaler Komplex“ bezeichnet werden kann. Erst vor ein paar Tagen hat Microsoft einen Deal mit dem Pentagon über knapp 22 Milliarden US-Dollar abgeschlossen, woran auch Facebook mitbeteiligt ist.

Quellen